2010

Birnenallee

Die Windmühlenstraße ist gesäumt von Birnenbäumen unterschiedlichster Sorten. So ist der Begriff "Birnenallee" entstanden, der aber nicht von den einheimischen Fritzdorfern geprägt wurde. Dietrich Kampe aus Berkum hat sich mit der Artenvielfalt der Birnenbäume beschäftigt und mir einen Beitrag zur Verfügung gestellt.

 

Fritzdorfer Windmühlenstraße - Edelstein in der Kulturlandschaft des Drachenfelser Ländchens.

 

Die Windmühlenstraße in Fritzdorf ist mit ihrer alten Birnenallee ein kulturlandschaftlicher Schatz, der bisher nur unzureichend erkannt, aber in höchstem Maße in seinem Bestand gefährdet ist. Die Allee besteht aus 60 Birnbäumen mit 16 unterschiedlichen Sorten. In ihrem wissenschaftlichen, ökologischen und landschaftsästhetischen Wert ist sie in weitem Umfeld einmalig. Mit der Windmühle, dem Steinernen Kreuz, der Anbindung an die Krönungsstraße, der Geschichte eines römischen Handelsweges, dem nahen Fundort des Fritzdorfer Goldbechers besteht hier ein kulturlandschaftliches Ensemble mit Bedeutung über das Wachtberger Ländchen hinaus und erfordert eine größere Aufmerksamkeit für seine Erhaltung.

Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Birnenallee. Die ältesten Bäume werden auf über 150 Jahre geschätzt. Derzeit stehen von der Erstgeneration noch etwa 20 Exemplare. Beeindruckend ist die Sortenvielfalt allein der verbliebenen Altbäume; darunter sind Kuhfuß, Neue Poiteau, Bergamotte, Pastorenbirne, Tongern, Gellerts Butterbirne, Gute Graue, Köstliche v. Charneux. Die vier Erstgenannten sind dabei nur noch mit einem einzigen Exemplar vertreten. Spätere Nachpflanzungen – die letzten vor etwa 30 Jahren- mit weiteren Sorten wie Clapp’s Liebling, Williams Christ, Vereinsdechant, Alexander Lucas und Gelbmöstler ergänzen die Vielfalt. Zwei Mostbirnen konnten noch nicht genauer bestimmt werden. Bei dieser Sortenvielfalt drängt sich direkt ein Birnenlehrpfad auf, an dem Sortenkenntnis, Wuchsverhalten, Gesundheit, Ertrag und Widerstandsfähigkeit gegen Witterungsextreme (Frost, Sturm, Trockenheit) studiert und beobachtet werden könnten. Die Früchte dieser bewährten Sorten machen alle einen gesunden Eindruck und könnten der Züchtung neuer Sorten oder als Reiserbäume für die Vermehrung dienen.

Anhand des großen Sortenspektrums und dessen vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten lässt sich die kulturgeschichtliche Situation des 18-ten und 19-ten Jahrhunderts ableiten. Die 16 Sorten reifen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen August und November und dienten mehreren Verwendungszwecken wie Frischverzehr, Kochen, Mosten, Dörren, Brennen, Braten oder als Nasskonserve. Diese Verwendungsmöglichkeiten waren für die damals vorherrschenden Selbstversorger- und Mehrgenerationenhaushalte maßgeschneidert. Die Sortenvielfalt kompensierte auch Ernteausfälle durch Spätfröste, Trockenzeiten oder Ertragsalternanz. Sortenvielfalt „rechnete sich“, war geradezu die Versicherung für nachhaltige Erträge und Vitaminversorgung über das gesamte Jahr. Ab Anfang August werden Clapp’s Liebling, Williams Christ, Kuhfuß und Gute Graue genußreif. Ab Mitte September folgen Gellerts Butterbirne, Köstliche v. Charneux und Gute Graue; Ende September schließen sich Tongern, Alexander Lucas, Neue Poiteau, Vereinsdechant und Bergamotte an, zuletzt ist die Pastorenbirne pflückreif. Die Sortenvielfalt dieser Allee ist also nicht rein zufällig, sondern zeugt von großem obstbaulichen Wissen und nachhaltiger Wirtschaftsweise. Nur wenige Obstbauern kennen heute noch alle hier wachsenden Sorten.

Wirtschaftlich nachhaltige Erträge, die früher die Sortenvielfalt gewährleistete, werden heute mit neuen Züchtungen, Pflanzenschutzmitteln, Beregnung, Düngung sowie großen Kühl- und Lagerhallen erreicht. Die Natur erledigte diese „Stabilisierung von Ertrag und Vermarktung“ kostenlos. Heute werden kaum mehr als 4-5 Birnensorten in Plantagen angebaut. Die Birnenallee ist also ein Zeitdokument ländlicher Kultur- und Wirtschaftsgeschichte. Heute erntet nur noch der Streuobstwiesenverein Wachtberg die Birnen zur Vermostung oder für einen Obstler.

Nicht zuletzt stiftet die Birnenallee „ökologischen Nutzen“ durch ihre Verbindungsfunktion zwischen dem Wachtberger Ländchen und dem Ahrtal; denn die Allee mit den verbliebenen Straßenrändern und Böschungen wirken als „ökologisches Verbundnetz“ für viele Pflanzen und Tierarten wie z.B. Fledermäuse, Schmetterlinge, Laufkäfer, Kleinsäuger und die gesamte Vogelwelt. Im weiten Umfeld gibt es keinen weiteren naturnahen Korridor in dem Wildpflanzen und Tiere eine Chance zum Überleben oder Wandern haben.

Es ist kaum zu übersehen: die zunehmend sich verschlechternden Standortbedingungen an der Windmühlenstraße gefährdet die Birnenallee in ihrer Grundsubstanz. Immer größere landwirtschaftlichen Fahrzeuge, ein Baumschnitt, orientiert an verkehrlichen Lichtraumprofilen, der Einsatz von Grabenfräsen bis dicht an den Stammfuß, ein dichtes Heranpflügen von der Feldseite und Konkurrenzpflanzungen sind Hauptursachen für erhebliche Baumschäden und ein streckenweise wenig attraktives Erscheinungsbild. Ohne eine Verbesserung dieser Situation werden dieser Birnenallee keine großen Überlebenschancen eingeräumt. Dabei sind durchaus Maßnahmen und Lösungsmöglichkeiten denkbar, um Schadensursachen abzustellen oder zu verringern.

Für die Fritzdorfer Birnenallee wird man sich bald etwas einfallen lassen müssen, um dieses einmalige Ensemble in der „Kulturlandschaft Drachenfelser Ländchen“ zu erhalten.