Der Fritzdorfer Goldbecher

Am Anfang des Jahres 1955 hielt das Volksbildungswerk Fritzdorf einen heimatkundlichen Vortrag über Bodenfunde und ihre Bedeutung ab. Die beiden Heimatforscher Josef Dietz aus Bonn und Norbert Zerlett aus Bornheim zeigten dabei zusammen mit dem Fritzdorfer Hauptlehrer Hubert Niesen vor- und frühgeschichtliche Gefäße. Da erwähnte der Fritzdorfer Landwirt Heinrich Sonntag, dass er auch so ein Gefäß auf seinem Feld gefunden habe. Die beiden Heimatforscher baten Heinrich Sonntag, seinen Fund einmal zu holen. Nachdem sie den Becher gesehen hatte, erkannten sie auf den ersten Blick, dass es sich um einen bedeutenden Fund handeln musste.

Heinrich Sonntag hatte ein halbes Jahr vor diesem Vortrag im Spätherbst 1954 eine Rübenmiete auf seinem Feld angelegt. Dabei stieß er beim Umdrehen einer Scholle mit seinem Spaten auf einen harten Gegenstand. Da er dachte, dass es sich um einen Stein handele, bückte er sich, um ihn wegzunehmen. Da bemerkte er, dass der Gegenstand in der Erde blinkte. So stach er mit seinem Spaten noch einmal in die Erde, um ihn herauszuholen. Dann traute er seinen Augen nicht. Er hielt einen kleinen Becher aus purem Gold in der Hand. Was er damals noch nicht wusste: er hatte einen der bedeutsamsten Funde im Rheinland gemacht.

Der Fundort, ein Acker etwa 1.000 Meter südwestlich der Fritzdorfer Kirche, liegt nicht weit von der Windmühle entfernt, auf einem Höhenrücken, der den Flurnamen „Auf dem Scheidt“ trägt.

Dem Fritzdorfer Landwirt war allerdings schon vor der Veranstaltung schon bekannt geworden, dass er etwas nicht Alltägliches gefunden hatte. So hatte er den Becher bei einem Meckenheimer Juwelier auf die Goldwaage legen lassen. Das Ergebnis waren etwa 230 Gramm reines Gold, ein beachtlicher Goldwert.

Das Gefäß ist 12,1 cm hoch, hat einen Durchmesser von 12,2 cm und ist tatsächlich 221 Gramm schwer. Es besteht aus einem Stück dünnem Blech aus 80 % Gold und 20 % Silber mit Kupferanteilen, was zu der damaligen Zeit durchaus üblich war, und wurde wohl über eine Form aus Holz getrieben. Dem halbkugeligen Gefäßunterteil mit Bodendelle ist ein längeres, durch scharfen Bauchknick getrenntes Oberteil mit abgewinkeltem Rand aufgesetzt. Der Rand wird durch zwei Reihen kleiner eingepunzter Buckel verziert, die am Henkel aussetzen. Der Henkel ist besonders sorgfältig mit Nieten und unterlegten rhombischen Scheibchen am Gefäßkörper befestigt. Damit sollte der Becher wasserdicht gemacht werden. Es darf angenommen werden, dass das Gefäß dazu bestimmt war, Flüssigkeiten wie Getränke aufzunehmen. Tatsächlich fasst das Gefäß ziemlich exakt 1 Liter Flüssigkeit. Möglicherweise wurde es mit Honig oder Wein gefüllt.

Vor 3500 Jahren war der Fundort mit Laubwald bedeckt und mit Sicherheit nicht bewohnt. Im gesamten Gemeindegebiet Wachtberg wohnten damals höchstens 50 bis 100 Menschen, die wenn in Weilern mit zwei oder drei Fachwerkhäusern mit Reeddächern wohnten. Die Fundstelle lag ca. 200 bis 300 Meter von der ehemaligen Aachen-Frankfurter Heerstraße und man kann davon ausgehen, dass in der Bronzezeit auch schon - wenn auch nur ein kleiner - Weg dort bestanden haben muss. Der Becher lang ca. 50 cm unter dem Boden. Dies ist insoweit bemerkenswert, weil vor ca. 3500 Jahren der Fundort ein bis zwei Meter höher lang als zum Zeitpunkt des Fundes. Wenn man also davon ausgeht, dass der Becher zur damaligen Zeit mindestens 1,50 Meter unter der Erde lag, muss er an seinem Fundort bewusst beigelegt worden sein und wurde nicht einfach willkürlich weggeworfen.

Der Hauptlehrer Hubert Niesen brachte das wertvolle Stück zum Landesmuseum nach Bonn. Die Wissenschaftler Dr. Rafael von Uslar und Dr. Adolf Herrnbrodt baten den Überbringer, den goldenen Becher zu Untersuchungszwecken dort zu lassen. Lehrer Niesen erklärte jedoch, dass Heinrich Sonntag darauf bestanden habe, dass er den Becher zurückbringe. So fuhren die beiden Wissenschaftler des Landesmuseums kurz entschlossen nach Fritzdorf, um den Landwirt von der Notwendigkeit der Untersuchungen zu überzeugen. Gleichzeitig suchten sie vom 29.März bis Mitte April 1955 die Fundstelle nach weiteren Gegenständen ab. Aber sie fanden nur die Scherben des Tongefäßes, in dem der Goldbecher aufbewahrt war und den Landwirt Heinrich Sonntag bei seinem Spatenstich kaputt gemacht hatte - nd natürlich die Rübenmiete. Über den Fortgang der Grabungen berichtete die örtliche Presse. Zu einem vereinbarten Fototermin hatte der Finder selbst keine Lust. Deshalb wurde der Fundort nicht mit ihm, wie fälschlicherweise von der Presse dargestellt, sondern mit seinem Sohn Paul abgelichtet.

Letztendlich konnten die beiden Wissenschaftler Heinrich Sonntag davon überzeugen, den Becher zu Untersuchungen mitzunehmen. Das Landesmuseum kaufte dem Landwirt den Goldbecher unter Berücksichtigung seines Goldwertes, aber auch seines Kunstwertes und nicht zuletzt seines Seltenheitswertes ab. Wieviel Heinrich Sonntag vom Landesmuseum erhalten hat, ist mir nicht bekannt. Sein Neffe Leo Schüller weiß nur soviel, dass sein Onkel sich von dem Geld einen Traktor der Marke Lanz, der damals 17.000 DM kostete, kaufte.

Der Becher oder die Tasse ist ein ganz einzigartiger Fund, von dem in unserer Gegend kein vergleichbares Stück bekannt ist. Er gehört zu den ältesten Goldgefäßen des europäischen Raumes, die außerhalb des ostmittelmeerischen, kretisch-mykenischen Bereichs gefunden wurden und man kann davon ausgehen, dass er auch dort angefertigt wurde. Durch Herstellungsweise, Form und Verzierung ist er eng verwandt mit den goldenen Bechern von Rillaton, Cornwall (Wessex-Kultur, Südengland) und Eschenz, Kreis Thurgau (Schweiz). Diese sind im Großen und Ganzen mit den berühmten Goldgefäßen der mykenischen Zeit identisch, und zwar vor allem mit denjenigen, die Heinrich Schliemann seinerzeit in einem der berühmten Schachtgräber von Mykenai in Griechenland (16. Jahrhundert v. Chr. = Ältere Bronzezeit) ausgegraben hat. Danach ergibt sich eine ungefähre Zeitbestimmung, wonach der Fritzdorfer Becher wahrscheinlich in der älteren Bronzezeit im 16. Jahrhundert v. Chr. angefertigt wurde. Übereinstimmungen bis ins Detail, z.B. die rhombischen Plättchen unter den Nieten, belegen, dass der Becher nicht unabhängig von den weit entfernt gefundenen Stücken entstehen konnte. Es ist ein Hinweis darauf, dass bereits in früher mykenischer Zeit die Oberschichten zwischen Griechenland, Deutschland und England Kontakte pflegten und wahrscheinlich wertvolle Geschenke austauschten.

Während der Fritzdorfer Becher einen Einzelfund darstellt, stammt der Becher von Rillaton aus einem Adelsgrab. Als Trinkgefäß haben diese Becher wahrscheinlich kultisch-religiöse Funktionen besessen. Nach Ansicht der Wissenschaftler deutet die Art, wie der Becher in der Erde niedergelegt worden war, dass es sich um ein Weiheopfer für eine Gottheit gehandelt haben könnte. Es ähnelt den in norddeutschen und dänischen Mooren gefundenen Goldgefäßen, die ebenfalls der Erde übergeben worden waren. Der Fritzdorfer Goldbecher könnte bei einem Totenritual verwendet worden sein, das für die ältere Bronzezeit typisch war. Darauf deutet eine fast unbedeutende Tatsache im Fundbericht hin. In diesem wird erwähnt, dass das Gefäß mit schwarzer Erde gefüllt war. Unglücklicherweise konnte der Inhalt des Goldbechers nicht mehr bestimmt werden. Es kann aber vermutet werden, dass es sich um organische Stoffe gehandelt haben könnte. Es wurden bei vergleichbaren Funden mit dem Fritzdorfer Goldbecher diese Inhalte festgestellt, bei denen sogar die sterblichen Überreste von verbrannten Menschen entdeckt wurden. Nach den Ergebnissen der vom Rheinischen Landesmuseum durchgeführten Ausgrabung ist der Becher in einem Tongefäß, von dem allerdings nur winzige Scherben geborgen werden konnten, der Erde übergeben worden. Aber dies sind alles nur Vermutungen. Die wahre Geschichte des Goldbechers werden wir vermutlich nie erfahren.

Fraglich bleibt auch, warum gerade dieser Platz ausgewählt wurde, um den Goldbecher zu vergraben. Ausgerechnet in einer abseits gelegenen Gegend, in einer Gemarkung, aus der bisher überhaupt noch keine Funde bekannt waren. Wenn es sich um ein Weiheopfer handelte, so liegt die Vermutung nahe, dass sich in der Umgebung ein Kultplatz befand.

Ohne das uneigennützige Verhalten des Fritzdorfer Landwirts Heinrich Sonntag wäre dieses Stück von wahrhaft europäischem Rang wohl immer verborgen geblieben. Eine originale Kopie des Goldbechers kann im Heimatmuseum Villip besichtigt werden.

 

Quellen:
Ottmar Prothmann, 1200 Jahre Fritzdorf
Franz Müller: Leben rund um den Wachtberg
H.-E. Joachim: "Fritzdorfer Becher" (1999)
Dr. R. v. Uslar: Der Goldbecher von Fritzdorf und seine Zeit in Vom Rhein zur Ahr, Beilage der Bonner Rundschau, November 1955
Ein über 3000 Jahre alter Becher aus purem Gold, Bonner Rundschau
Irmgard Wolf, Den Heimatforschern stockte der Atem in: General-Anzeiger Bonn vom 15.5.2004
Mündliche Aussage von Leo Schüller